Drei Fragen an Lotte Leicht zur Flüchtlingspolitik in Europa

Die Webseite boell.de hat Frau Lotte Leicht von Human Rights Watch zur Flüchtlingspolitik interviewt. Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Video dessen Urheber boell.de ist.

Welche Verantwortung haben wir als Europäer/innen in der Flüchtlingskrise?

Unsere Verantwortung ist, Flüchtlingen Schutz zu gewähren, wozu wir gesetzlich verpflichtet sind. Und unsere moralische Verpflichtung ist es natürlich, zu erkennen, dass Flüchtlinge Menschen sind. Es sind keine Güter, mit denen man handelt oder von denen min sich freikaufen kann.

Wir haben eine moralische Verpflichtung , Menschen mit Würde zu behandeln. Wir müssen anerkennen, dass Europa einen fairen Anteil an der Krise leisten muss, wo weltweit 60 Millionen Menschen vertrieben sind, davon 20 Millionen Flüchtlinge.

Wie unterscheidet sich der Diskurs in verschiedenen europäischen Ländern und wie kann eine gemeinsame Flüchtlingspolitik gestaltet werden?

Ich glaube, die Diskurse in verschiedenen Ländern unterscheiden sich durch Empfindungen, nicht durch Fakten. Wir sehen, und das ist erstaunlich, dass Länder, die nicht so viele Asylanträge bekommen, häufig der Aufnahme von Flüchtlingen am negativsten gegenüberstehen.

Gleichzeitig sehen wir in manchen Ländern, die sehr viele Flüchtlinge aufgenommen haben, eine politische Wahrnehmung aufkommen die besagt: „Wir schaffen das nicht“. Ich denke, was wir fördern müssen, sowohl bei Individuen, als auch bei EU-Ländern, aber auch in einem gemeinsamen EU-Umfeld, das sie herauskommen aus dieser „Wir schaffen das nicht Kiste“ und erkennen, dass die Zahlen der Ankommenden global gesehen nicht wirklich groß sind. Natürlich können wir diese Zahlen bewältigen.

Wenn wir darüber sprechen, dass wir eine gemeinsame europäische Asylpolitik brauchen, dann befürchte ich im Moment – angesichts der sehr unterschiedlichen und teils negativen Meinungen der europäischen Metropolen – dass das sehr wenig Erfolgsaussichten hat. Wenn wir zu unserem einzigen Ziel machen, dass wir vereint sein müssen darin, unsere Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen weltweit wahrzunehmen, dann ist das eine Abwärtsspirale. Weil es Länder in der EU gibt, die ständig Nein zu allem sagen.

Mein Vorschlag für jetzt wäre, den Nein-Sagern nicht zu erlauben, allen diese Abwärtsspirale vorzuschreiben. Wir sollten Koalitionen mit Ländern bauen, die die Probleme lösen wollen, in einer angemessenen und würdigen Weise. Und sie die Führungsrolle übernehmen lassen. Die anderen werden von der Geschichte beschämt werden.

Aber wir müssen nach vorne gehen, auch wenn nicht alle 28 Mitgliedsländer mitkommen. Dies müsste einhergehen mit Koalitionen mit Ländern außerhalb der EU. Es gibt andere Partner/innen, mit denen wir dabei zusammenarbeiten können.

Es gibt da einen neuen Player, seit dem Regierungswechsel in Kanada. Das ist ein relativ kleines Land – an der Bevölkerung gemessen -, das außerordentlich positive Initiativen in Bezug auf Schutz und Aufnahme von Flüchtlingen gezeigt hat.

Wie kann eine Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage mit den Nachbarstaaten der EU aussehen?

Natürlich sollten wir mit den Nachbar/innen kooperieren. Aber nicht so, dass wir einen Handel abschließen nach dem Motto „Wir unterschreiben Euch ein paar Schecks, und ihr kümmert Euch dann um die Flüchtlinge, egal wie die Bedingungen in eurem Land sind“.

Einige der geschlossenen Kooperationen mit Ländern sind zutiefst fragwürdig. Das sind Länder, die nicht für die Einhaltung der Menschenrechte bekannt sind, sondern für Menschenrechtsverletzungen und Straffreiheit dafür.

Es gibt sogar Vorschläge für eine Kooperation mit Sudan, das einen Präsidenten hat der Kriegsverbrechen und des Genozids angeklagt ist – einfach absurd!

Es ist nicht absurd, den Schutz von Menschen verbessern zu wollen, auch in solchen Ländern, eingeschlossen Migrant/innen und Flüchtlinge. Aber es ist sehr fraglich, ob das durch finanzielle Unterstützung für solche Länder erreichbar ist.

In vielen dieser Länder, auch in Ägypten und Äthiopien, gibt es keine freien Medien. Whistleblowers (ähem – Edward Snowden – ähem) und Oppositionelle werden eingesperrt. Wenn also etwas schiefgeht, wird es dort keinen geben, der davon berichten könnte.

Ja, wir sagen, wir müssen mit solchen „schlechten“ Ländern zusammenarbeiten, aber es muss sehr vorsichtig von statten gehen. Dahinter sollte nicht die Absicht stehen, Leute nur von Europa fernzuhalten, sondern deren Schutz und Rechte zu stärken.

Produktion und Realisation: Kerstin Nickig